Negro Spirituals in der Heilig-Geist-Kirche in Schramberg
In seltener Perfektion: Negro-Spirituals in der Heilig-Geist-Kirche
Chor der Luxemburger St.-Michaels-Kirche und Buschtrommeln verbreiten Urwald-Klänge
SCHRAMBERG - In seltener Perfektion bot der Chor der St Michaels-Kirche, Luxemburg, eine reiche Auswahl von Negro-Spirituals und Gospel Songs dar, die Gerry Welter, der Leiter des circa 40 Mitglieder starken Vokalensembles, originell und phantasievoll selbst arrangiert bat. Seine Arrangements waren von zweierlei Tendenzen gekennzeichnet, einerseits vom Streben, die afrikanische Ursprünglichkeit der Lieder möglichst rein und echt wiederzugeben, andererseits vom Bemühen, diese Gesänge von allen dirty tones zu entschlacken und sie entsprechend dem abendländischen Klangideal perfekt darzubieten.
Pfarrer Junginger sprach zu Beginn des Konzerts herzliche Begrüßungsworte, er äußerte seine Freude darüber, daß eines der besten Chöre Luxemburgs in der Schramberger Heilig-Geist-Kirche musiziere, er dankte Oberstudienrat Konzen, durch dessen Vermittlung dieses Konzert möglich geworden war. Ein Sänger des Chores gab zu den einzelnen Liedern inhaltliche Einführungen, er verwies auf den Sinngehalt der Spirituals, die als Befreiungslieder im religiösen Sinne verstanden sein wollen. Episoden aus dem alten und neuen Testament hätten für die versklavten Neger gleichnishafte Bedeutung erlangt, diese hätten sich mit den geknechteten Israeliten identifiziert und in der musikalischen Ekstase die verheißene Befreiung im Geiste gleichsam vorweggenommen und auf ihre Wirklichkeit übertragen. Das Überschreiten des Jordan sei ein symbolischer Akt für den Übergang in das gelobte Land, für die Erlangung der eigenen Befreiung und Erlösung.
Mit einem kühnen Auftakt begann „Everytime I feel the Spirit“, schon hier war der Swingeffekt bemerkbar, das sanfte rhythmische Gleiten, die freie Interpretation der jeweiligen Melodie, welche ganz von religiöser Ergriffenheit beseelt war. Ein zart klingendes, mühelos dominierendes Sopransolo prägte den Gesang „l've been in the Storm so long“. Glockenimitation wurde für den nächsten Chor auf dem elektronischen Klavier von Phyllis Poppe, der Pianistin, effektvollerzeugt. „My Lord, what a Morning“, war ein meditatives Gebet, erklang andächtig und fromm im Vortrag. Lebhaft im Rhythmus, mit expressiver Artikulation, wurde „Wade in the Water“ gesungen, die musikalische Beschreibung des Gangs durchs Rote Meer, hier kamen die führenden Tenorpartien besonders gut zur Geltung.
Bei dem bekannten Lied „Swing Low“ war vor allem die originelle Stimmführung auffallend, ebenso die Tempoabstufung zwischen Strophe und Refrain. Auch „O Happy Day“ ist eine sehr bekannte Spiritual-Weise, welche Gerry Welter durch seine Bearbeitung mit neuer, ungewohnter musikalischer Kraft versehen hat. Vitale Synkopen verliehen dem Chor eine ungeheuere Lebendigkeit, das Sopransolo jauchzte himmelhoch und ekstatisch, Jenseitsfreuden vorausahnend. Jene Episode vom Fall der Stadt Jericho beschloß den thematischen Liedreigen des ersten Teils.
Der zweite Teil brachte Lieder anderer Art, zwar auch religiösen Inhalts, aber mit tänzerischern Schwung, beinah an Gassenhauer erinnernd. Das zündende Klavierakkompagnement tat sein Übriges, der Chor sang mit musikantischem Engagement, mitreißend und vital, aber auch diszipliniert in der Verwirklichung plötzlicher Piano-Effekte. Das bekannte Lied „Let my People go“ wurde - und du Einfall ist glücklich zu nennen - über begleitenden Buschtrommeln gesungen, man fühlte sich in den Urwald versetzt, afrikanische Unprünglichkeit vermittelte dieses Lied.
Aus dem Spiritual „Sometimes I feel like a motherless child“ sprach das Gefühl von Verlassenheit und Einsamkeit; er hatte die Funktion eines meditativen Ruhepunktes, lyrisch weich, mit melancholischem Ausdruck wurde er vom Chor getragen. Lupenrein erklang der „Where You there“, bei dem eine chromatische Zweitstimme dem erzählenden Sopransolo unterlegt war. Dynamisch differenziert wurde das „Amen“ ausgestaltet, jener Chor über Christi Geburt. Eine schnelle Sprechtechnik erforderte Lied „Ain'a that Good News", welches erzählt, wie der versklavte Neger sein Kreuz gegen die Frohbotschaft des Evangeliums und den Krönungsmantel des erlösten Menschen eintauscht. Mit einem Halleluja auf Gottes Allmacht und Herrlichkeit klang das Konzert aus. Der Beifall des Publikums war langanhaltend und begeistert. Hans Werner
Schwarzwälder Tageblatt vom 2.Juni 1986