J.Haydn: Die Schöpfung
Hauptstädtisches Konservatorium
Eine “Schöpfung” im Stile von 1799: authentisch, schlank und ergreifend
Ein Riesenkompliment gebührt dem Dirigenten Gerry Welter für die prachtvolle “Alternativrealisation” von Haydns “Schöpfung” am vergangenen Dienstag im vollbesetzten Auditorium des Konservatoriums. Es grenzte schon fast an Verwegenheit, als konventioneller “Symphoniker” in unseren Gefilden mit vorwiegend einheimischen Kräften (Chor) eine resolut “historische” Aufführung des ebenso bedeutenden wie beliebten Haydnoratoriums zu planen.
Gerry Welter, sozusagen im Gefolge von Pierre Cao, wollte also weg vom klangseligen, stimmungsvollen Breitflächenmusizieren des 19. Jahrhunderts und zurück.zum feinatmigen, textnahen und charakterbewußten Artikulationsmusizieren, wie es die undiskutable Regel des “klassischen” 18. Jahrhunderts war und wie es das 20. Jahrhundert glücklicherweise wiederentdeckt hat. Wenn es noch eines Beweises bedurfte, daß auch in Luxemburg, trotz lauen Umfeldes, ein diesbezügliches Pionierdenken einzelner einheimischer Musiker Früchte getragen hat, dann lieferte ihn Gerry Welter an diesem Abend ab. Seine Verdienste sind nicht hoch genug anzusetzen, einerseits wegen der Idee an sich, andererseits wegen der Güte der Ausführung. Denn es sei vorweg betont: Es war eine Spitzenrealisation die in jeder Hinsicht auch den strengsten Kriterien gewachsen war. Und in diesem Sinne reagierte am Ende auch das Publikum. Die stürmischen Ovationen ließen keinen Zweifel aufkommen: Diese “Schöpfung” war ein Totalerfolg!
Als Fundament dieses erstaunlichen Resultats wird wohl die chorische Vorbereitungsphase gewesen sein. Die adäquat aufgestockten und verstärkten Reihen der “Chorale Saint-Michel” führten ein Höchstmaß an Intonationssicherheit, an lockerer, heller Tongebung und an artikulatorischer Beweglichkeit (offen die Vokale, präzise die Konsonanten) vor. Der Chorklang war homogen sowohl in den stillen als auch in den exponierten klangfülligen Passagen. Kurz, das Ensemble sang in jeder Phase hauteng am Text entlang, artikulierte und phrasierte mit größter Disziplin. Gerry.Welter, längst erfahren in seriöser Chorarbeit, hatte hier eine Optimalarbeit geleistet. Wunderbar!
Die größte Überraschung der Aufführung war für mich jedoch das alte Instrumentarium der “Neuen Hofkapelle” aus München, die offenbar an Orlando di Lassos berühmtes Elite-Ensemble des 16. Jahrhunderts anzuknüpfen gedenkt. Es tut sich also etwas auch in der bayerischen Kulturmetropole, die bis dato wahrlich nicht als Hochburg der alten Aufführungspraxis gelten konnte.
Schon der Einsatz zum ersten C-Akkord war ein Muster an klarem, sonorem, transparentem Orchesterklang. Danach erwiesen sich die Streicher (Besetzung 8, 7, 6, 5, 4) als eine sehr kultivierte, flexible Gruppe. Das Holz hatte die typische hölzerne Färbung (herrlich die Flöte!); und das Naturblech mit der Pauke lieferte dazu die nötige Grundtönung. Unter dem Impuls der exzellenten Konzertmeisterin Claudia Schneider garantierten die Münchener Instrumentalisten einen kernigen, farbigen Vollklang, der immer. ausgewogen wirkte sowohl von Gruppe zu Gruppe als im ZusammenspieL Ein Sonderlob verdient die leider anonyme Continuo-Gruppe. (Hammerklavier, Cello). Welchen Standard die junge “Neue Hofkapelle” in Eigenfunktion darstellt, ist schwer zu definieren; an diesem Abend stellte sie sich jedenfalls als eine hochqualifizierte und hochprofessionell mitdenkende Musiziergemeinschaft vor, die wie in einem einzigen Atem aufspielte.
Ein Glücksfall war ebenfalls die stimmliche und sängerische Präsenz der drei Vokalsolisten. Mit strahlendemTimbre;und stets kontrolliertem Tonansatz sang Mariette Kemmer ihren Part etwas instrumental aber souverän, virtuos, linear und makellos schön aus. Sie setzte vor allem ihr überragendes stimmtechnisches Vermögen extrembewußt ein und dominierte das Geschehen in allen Lagen.
Das Tenor Christoph Pregardien und der Bassist Anton Scharinger hatten außer ihrer überragenden stimmlichen und sängerischen Kompetenz sogar noch mehr anzubieten: sie konzentrierten sich mit ganzer Hingabe auf die deklamatorischen Prämissen der Haydn-Aussage. Christophe Pregardien knüpfte an seinen sublimen “Dichterliebe”-Vortrag vor wenigen Wochen an gleicher Stelle an. Mit schwereloser Tongebung formte er jede Silbe, jeden Vokal, jeden Konsonanten in totalem Einklang mit dem Sinngehalt der musikalischen und textlichen Vorlage. Barock-klassischer Gesangsstil in Reinkultur!
Die gleiche Bewertung steht vielleicht noch in höherem Maße Anton Scharinger zu. Auch bei ihm standen: die hervorragenden stimmlichen Mittel im Dienst eines geradezu perfekten Deklamationssingens. Der österreichische Sänger weiß durchaus, was es heißt affektbewußte Textnüancen an den Hörer weiterzugeben. Allein wie Scharinger im Schlußteil den Satz “Du nimmst den Odem weg, im Staub zerfallen sie” rezitierte und mit Seele erfüllte, war ein Erlebnis.
Das ganze Vokal- und Instrumentalgeschehen regulierte und ordnete am Dirigentenpult Gerry Welter. Mit fester Hand und mit unakademischer, aber äußerst suggestiver Geste führte er die Chorsänger durch die Partitur, während er den Instrumentalisten der “Neuen Hofkapelle München” die nötigen Freiheiten ließ zu einem feinfühligen, gelösten Musizieren. Das Resultat war ein homogener, farbiger, vitaler Klangprozeß, bei dem die Balance von Chor, Solisten und Orchesterapparat nie in Frage gestellt war. Alle Beteiligten waren mit Herz, Können und Wissen bei der Sache.
Kein Akzent war überpointiert, kein Tempo überzogen. In anderen Worten: Haydns “Schöpfung” erklang an diesem Abend so schlank, so jung, so unverkrampft und so “richtig” wie kaum je zuvor in einem einheimischen Konzertsaal.
Ein Extrakompliment verdienen die Verantwortlichen für das großartige Plakat (Grafik: COMED) und für das ebenso geschmackvolle wie informative Programmheft.
loll weber