Britten: War Requiem
Luxemburger Wort vom 26. April 1995 (par Loll Weber)
"... den toten Kriegern eine Stimme geben"
Echternacher Festival - Pierre Cao dirigierte Brittens "War Requiem"
Benjamin Britten (1913‑1976 war sicherlich mehr humanistischer Pazifist als dogmatischer Kirchengläubiger. Unter diesem Gesichtspunkt muß sein "War Requiem" verstanden werden, das als "klingendes Manifest gegen bewaffnete Konflikte" (Programmnotiz) am 30. Mai 1962 gelegentlich; der Einweihungsfeierlichkeiten des neuen Gotteshauses von Coventry uraufgeführt wurde.
Britten ergänzte den traditionellen Text der lateinischen Totenmesse (großer Chor, großes Orchester, Sopran sowie Knabenehor und Orgel) mit den sehr persönlichen, fast bizarren Kriegsgedichten von Wilfred Owen (Tenor, Bariton und kleines Instrumentarium). Dabei benügte sich der Komponist nicht mit einer herkömmlichen Vertonung der zwei Textvorlagen, sondern strebte eine minutiöse Musikalisierung der jeweiligen Ausdrucksebenen an. Das bedeutet: er komponierte hauteng am Text und am Textsinn entlang. Das Wort hat den Vorrang vor dem äußerlichen klangdramatischen Effekt. So muß man sich das "War Requiem" auch anhören. Den Organisatoren steht ein großes Kompliment zu dafür, daß sie den Zuhörern den abgedruckten Gesamttext vor Konzertbeginn aushändigten, Wenn der Hörer nämlich nicht jedes Wort mitdenkt, hört er am Werk vorbei.
Dem englischen Meister ist hier eine äußerst individuelle musikalische Charakterisierung gelungen. Einerseits knüpft er an Traditionen des 16. und 17. Jahrhunderts an (z. B. Einheit von Wort und Ton), ohne ins Historisierende abzugleiten, andererseits spricht er eine absolut zeitgemäße Musiksprache, ohne einer schematischen Avantgardeattitüde zu verfallen. So gesehen ist das "War Requiem", wie so viele Bekenntniswerke abseits aller Schulen und Strömungen, ein wahrhaft zeitloses Opus, "das unter äußerster künstlerischer Anspannung den Toten der Kriege eine Stimme gibt" (Programmnotiz).
Wie schon angedeutet, geht Britten jeder spektakulären Dramatik aus dem Wege. Dabei hält er Expressivmomente immer wieder hin. Große Chorsteigerungen etwa deutet er meistens nur an, bricht den Fluß dann vor den erwarteten Entladungen ab. Eine Vielfalt an dynamischen, strukturellen und
artikulatorischen Detailkontrasten garantiert jedoch ein konstantes Spannungsfeld, das aus dem Wort selbst herausgestaltet ist.
Das Prinzip der psychologischen Hinhaltung wendet Britten konsequent an... bis zum "Libera me, domine". Spätestens an dieser Stelle, wenn sich das Flehen zum Fortissiorno‑Schrei verdichtet, versteht man Brittens Absichten: Das "Erlöse mich, Herr!" ist die Zentralaussage des ganzen Werkes. Und
diese erste voll ausgeführte dynamische Steigerung bis hin zum Aufschrei ist von beklemmender Wirkung. Nicht weniger ergreifend, ja erschütternd danach die psalmodierte Schlußphase. "Let us sleep now", flüstern die Solisten, "Requiem aeternam dona eis" bittet der Knabenehor, und mit "Requiescant in pace, Amen" läßt der große Chor das Werk in einer totalen Stille verklingen. So stumm kann ein Protest sein!
Dem imposanten Werk angemessen war die Ausführung. Das größte Kompliment steht wohl dem Dirigenten Pierre Cao zu. Gewissenhaft und schlagsicher ordnete er das Geschehen, dosierte die Wechsel von animierten und entspannten Episoden, fügte die' verschiedenen Klangflächen sinnbringend zusammen, hielt das vielzählige Chorensemble zu einer ebenso präzisen wie markanten Phrasierung an und vor allem dies: Er wußte dem Chor- und Orchesterapparat seine Intentionen unmißverständlich weiterzuverrnitteln, der dem Gehalt der Partitur in hohem Maße gerecht wurde.
Eine Prachtleistung boten die vereinigten Chöre: der Friedrichvon‑Spee‑Chor Trier, die Viersteiner‑Kantorei Darmstadt und die Chorale Saint‑Michel. Bei soviel Sicherheit und Glanz bis hin zu den ungewohnten Sprechgesangpassagen (Sanctus) kann die Vorbereitungsarbeit nur optimal gewesen sein. Den Chorleitern Martin Folz, Martin Lutz und Gerry Welter gebührt uneingesehränkte Anerkennung. Hervorragend ebenfalls der Auftritt der kleinen "Pueri Cantores" (sozusagen mitten in der Zuhörerschaft plaziert und diskret am Positiv von Alain Wirth assistiert) unter der vorbildlich präsenten Leitung von Pierre Nimax Junior. Im Klartext: Die Chorleistungen sind nicht hoch genug zu loben.
Das aufgestockte Symphonieorchester ("Ensemble instrumental du FIEL") kam mit seinem anspruchsvollen Part mehr als zufriedenstellend zurecht. Bis auf einige leichte Intonationstrübungen (Blech in der Anfangsphase) und minimale Unsicherheiten im Zusammenspiel lieferte das luxemburgisch‑amerikanische Gemeinschaftsensemble eine vorzügliche Gesamtleistung ab. Dasselbe gilt für die solistischen Pulte (Harfe, Pauke, Horn, Klarinette, Oboe, Flöte und Streichquintett), die zu den Owen‑Kommentaren eine tadellose instrumentale Grundierung beisteuerten.
Von den drei Vokalsolisten hinterließ der hochmusikalische Tenor Maldwyn Davies den stärksten Eindruck. Mit seiner herrlich plazierten und herrlich geführten Stimme erwies er sich in allen Lagen als ein Interpret, der in jeder ,Situation weiß, was er singt. Ihm muß man sowohl im rein sängerisehen als auch im deklarnatorischen Bereich eine Spitzenleistung bescheinigen. Weniger auffällig, aber sehr kultiviert sang Tom Sol den Baritonpart aus. Lediglich die Sopranistin Alma Jean Smith konnte auch in stimmlicher Hinsicht auf dem gegebenen Niveau nicht ganz mithalten.
Ansonsten war dieser Britten-Abend, für den größtenteils regionaleigene Kräfte unter Luxemburger Gesamtführung verantwortlich zeichneten, eine geistige und musikalische Begegnung besonderer Güte. Nach der exzellenten Realisation von Honeggers "Jeanne au bûcher" jetzt das "War Requiem", beide Konzerte unter der musikalischen Leitung von Pierre Cao! Sollten solche Produktionen kultur