B.Britten: War Requiem (Berlin)
60. Jahrestag des Kriegsendes in Europa
d'Wort du 11 mai 2005 (par Dr. Matina Jammers, Berlin)
"Alles, was ein Dichter heute tun kann, ist: warnen"
Grosse Luxemburger Besetzung bei der Berliner Aufführung von Brittens "War Requiem"
Es fällt auf, dass sich die Erinnerungskultur sechzig Jahre nach Kriegsende sehr viel umfassender vollzieht als zum 50. Gedenktag. Damals war die Bundesrepublik noch sehr mit den Folgen der eigenen Wieder-vereinigung beschäftigt; Berlin war noch nicht Hauptstadt. Für das Wochenende rund um den 60. Jahrestag des Kriegsendes listete der Berliner „Tagesspiegel“ eine ganze Zeitungsseite Gedenkveranstaltungen in der deutschen Hauptstadt auf. Nimmt man die Einweihung des lange umstrittenen und nun weithin als „gelungen“ gewürdigten Holocaust-Denkmals von Peter Eisenman am Brandenburger Tor hinzu, die gestern Dienstag anstand, so ist Deutschland schon eine intensive Auseinandersetzung mit der leidvollen und leidensstiftenden Vergangenheit zu attestieren.
Zweifelsohne einer der nachdrücklichsten Höhepunkte auf der dichten Agenda von Memorialveranstaltungen am 8. Mai 2005 war die Aufführung von Benjamin Brittens „War Requiem“ in der Berliner Philharmonie. Mehr als viele abwägenden Reflexionen vermag dieses bewegende Chorwerk Brittens in aller beklemmenden Eindringlichkeit das Unsägliche der Kriegsgreuel anschaulich zu machen, aber auch die daraus entspringende Sehnsucht nach Er-lösung zu artikulieren.
Der Engländer Britten wählte 1962 bei der Uraufführung seines Requiems mit der wiedererrichteten Kathedrale von Coventry nicht nur ein markantes lokales Zeichen der Versöhnung, sondern sah zudem bei der Solistenbesetzung neben der russischen Sopranistin Galina Vishenevskaya und dem englischen Tenor Peter Pears den deutschen Bariton Fischer-Dieskau vor. Dieser Ursprungsgedanke wurde nun bei der Berliner Aufführung aufgegriffen und verstärkt, indem neben den Solisten auch das gewaltige Choraufgebot international besetzt wurde. Die Produktion erwies sich als imposantes Gemeinschaftswerk zwi-schen dem Berliner Karl-Forster-Chor und der „Chorale Saint-Michel“ unter der souveränen Leitung der jungen Barbara Rucha
(geboren 1972) und ihres bewährten Luxemburger Kollegen Gerry Welter. Verstärkt wurden sie vom Vokalensemble „Cantica“, dem beinahe sphärisch anmutenden Knabenchor der Berliner Akademie der Künste, dem „Arthur Rubinstein Philharmonic Orchestra“ Lodz sowie dem Orchester der Stipendiaten der Berliner Philharmoniker. Die Veranstaltung wurde großzügig unterstützt vom Großherzogtum im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft sowie vom deutschen Hauptstadtkulturfonds. Die Bedeutung des Ereignisses wurde durch die Anwesenheit des Präsidenten des Deutschen Bundestags, Wolfgang Thierse, sowie des Luxemburger Botschafters Jean A. Welter unterstrichen. Nach der Berliner Premiere war die gleiche Aufführung – nur abweichend in der Besetzung des Knabenchors, der sich dann aus den „Pueri Cantores“ rekrutiert – am Europatag im hauptstädtischen Konservatorium zu hören.
Bravouröse Chorleistung
Wirkungsvoll hebt Brittens „War Requiem“ an mit einem langsam sich schleppenden „Requiem aeterna“ des Chores, welches ansteigt durch länger werdende Phrasierungen und zunehmende Orchestrierung. Der ergänzende Tritonus der Totenglocken hallt wie ein Warnsignal durch die Philharmonie. Zwar verwendet Britten in seiner Komposition die traditionellen lateinischen Texte der Totenmesse, doch in solch bahnbrechender Interpretation, wie es sie zuvor nie gegeben hat. Subtil kontrastiert er die Liturgie mit Gedichten des im Ersten Weltkrieg gefallenen Engländers Wilfried Owens, der mit seiner zutiefst pazifistischen Grundhaltung bis heute als einer der radikalsten Antikriegspoeten gilt. Owens eigene Worte hat Britten seiner Partitur des „War Requiem“ vorangestellt und damit pointiert die Aussage seiner Komposition umrissen: „Mein Thema ist der Krieg und das Leid des Krieges. Die Poesie liegt im Leid ... Alles, was ein Dichter heute tun kann, ist: warnen.“
Unter den drei Solisten besticht in Berlin neben der bulgarischen
Sopranistin Romelia Lichtenstein und dem deutschen Bariton Thomas Mohr besonders der Tenor von Philipp Sheffield (England) durch seine Klarheit, bei der je nach textlicher Erfordernis gleichwohl große Em-phase spürbar wird. Ebenso berührt das warme Timbre Thomas Mohrs.
Tief prägt sich dem Publikum das Schlussduett „Strange Meeting“ dieser beiden Solisten ein, wenn sich im Jenseits zwei Soldaten begegnen, unisono die Rücksichtslosigkeit des Krieges anprangern – und am Ende erkennen, dass der eine den anderen getötet hat.
Bravourös in jeder Hinsicht ist die Leistung der Chöre zu nennen. Diesen verlangt das Britten-Requiem einiges ab. So muss in einigen Passagen jede Chorgruppe jeweils einen anderen Rhythmus durchhalten, wenn etwa Achtel auf Triolen fallen. Die damit intendierte Suggestion der chaotischen Kräfte des Krieges meistern die Chöre bei der Berliner Aufführung ebenso wie das mal zaghafte, mal deklamierende harmonische Erflehen von himmlischer Erlösung. Das Oszillieren zwischen Klage und Trauer kulminiert im Sanctus. Brittens raffinierten Einsatz der dem asiatischen Kulturkreis entliehenen Heterophonie, bei dem sich der Chor in acht unterschiedliche Stimmen teilt und den gleichen Text auf unterschiedlichen Tonhöhen singt, bewältigen die Luxemburger und Berliner Chöre eindrucksvoll: Ein betörendes Schwirren der Stimmen breitet sich im einzigartigen architektonischen Rhythmus der Philharmonie aus.
Die Chöre verständigen sich traumwandlerisch mit den Solisten wie mit dem Orchester – ein heikles Unterfangen bei dieser Fülle an Dissonanzen. Das kollektive „Wiegenlied“ am Ende des Requiems beschwört keinen „faulen Frieden“. Es ist vielmehr ein tröstliches Besänftigen bei aufgehaltenen Augen.
Die große Leistung des Ensembles würdigt das konzentrierte und sichtlich ergriffene Publi-kum mit nicht abreißendem Applaus. Leider waren nicht alle Reihen der Philh