Chorale Saint-Michel Luxembourg

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B.Britten: War Requiem (Luxembourg)

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Hauptstädtisches Konservatorium
d' Wort du 12 mai 2005  (par André Link)
Ein herausragendes Monument der Menschheitsgeschichte 
Aufführung von Benjamin Brittens "War Requiem" durch deutsche und luxemburgische Ensembles
Von allen Gedenkfeiern, die in diesen Tagen an das Ende des Zweiten Weltkrieges erinnerten, war die Aufführung des „War Requiem“ im hauptstädtischen Konservatorium vielleicht die bewegendste. Aufrüttelnd ist einerseits, wie Benjamin Britten in seiner gigantischen Komposition – wohl dem größten Chorwerk des zwanzigsten Jahrhunderts – auf sehr persönliche Weise den liturgischen Text der Totenmesse mit engagierten Gedichten des kurz vor dem Waffenstillstand von 1918 gefallenen „War Poet“ Wilfred Owen verbindet. Noch ungewöhnlicher, dass dieser Tonschöpfung, die 1962 in der nach dem Bombenangriff von 1940 wiederaufgebauten Kathedrale von Coventry uraufgeführt wurde, eine in dieser Form einmalige Forderung nach Versöhnung über den Gräbern innewohnt.



Beteiligt an der Ausführung des „War Requiem“ waren in Luxemburg die „Chorale Saint-Michel“, der Karl-Forster-Chor Berlin, das „Ensemble Vocal Cantica“, der Knabenchor „Pueri Cantores“ des Luxemburger Konservatoriums, das Philharmonische Orchester „Arthur Rubinstein“ aus Lodz und die Orchester-Akademie der Berliner Philharmoniker. Nicht weniger als drei Dirigenten teilten sich die Leitung des riesigen Vokal- und Instrumentalaufgebots: In der Gesamtführung holte Barbara Rucha mit beredten Gesten ein Maximum aus den ihr anvertrauten Musikern und Sängern heraus, während Gerry Welter sich des Kammerensembles annahm, das auf der linken Seite der Bühne die beiden männlichen Gesangsolisten begleitete. Räumlich in einiger Entfernung platziert, dirigierte schließlich Pierre Nimax jr. seine „Pueri Cantores“. Deren Einlagen sollten, die himmlische Sphäre versinnbildend, in


seraphischer Schwerelosigkeit hereinschweben, da aber der Alt gegenüber dem Sopran ein Ãœbergewicht gewonnen zu haben scheint, war ihre Präsenz doch sehr ausgeprägt (während die Orgeluntermalung durchaus ätherischen Charakter hatte).

Dass der über hundertköpfige Chor bis zum Schluss seine Geschlossenheit wahrte, ist etwas, was man sicher nicht alle Tage erlebt. Ein gewisser Mangel an einschneidenden deklamatorischen Akzenten (die im „Dies irae“ bzw. „Confutatis“ schon angezeigt gewesen wären) wurde dabei durch die Fülle des Stimmenmaterials aufgewogen, die in der grandiosen Fuge „Quam olim Abrahae“ und dem überdimensionalen Crescendo des „Sanctus“ als unaufhaltsame Aufwärtsbewegung hochbrandete.

Das Sängerheer hatte aber auch betonte Momente der Verinnerlichung, wie zum Beispiel die zögerliche Zurückhaltung im „Benedictus“ (als dränge sich die Frage auf, wen man unter diesen Umständen schließlich lospreisen soll) oder ein zweimaliges Amen, das man so innig ausgesungen wohl noch nicht gehört hat. Unvergesslich auch, wie nahtlos das wunderbare „Lacrimosa“ aus dem „Dies irae“ herauswuchs.

Hier hatte die Bulgarin Romelia Lichtenstein Gelegenheit, im allgemeinen vokalen und orchestralen Fortissimo die stählerne Durchschlagskraft eines Soprans zu behaupten, der seinen großen Ausbrüchen ausdrucksvoll modulierte Finalen anzufügen wusste. Eine feurige Streiterin, loderte diese Stimme in hellen Farben am Rande des Geschehens, d.h. dem von Benjamin Britten evozierten Weltenbrand.

Eine tadellose Leistung erbrachte ebenfalls der Bariton Thomas Mohr, dem nach gelegentlich opernwürdigen Steigerungen noch genügend Innenschau blieb, um den  wohl ergreifendsten Augenblick des Abends zu gestalten: das eigentümlich schlichte „I am the enemy you killed, my friend“, das ein auf dem Schlachtfeld Gefallener ohne jegliches Ressentiment seinem vormaligen Gegner entgegenhält.

Für den Tenor, der die Gegenseite verkörpert, ist dies das Stichwort, zu der besänftigenden Schlussfolgerung „Let us sleep now“ aufzufordern, in die sämtliche Beteiligten einfallen. Mit seiner einfühlsamen Stimmführung, womöglich noch ausdrucksstärker als sein Partner, stand der britische Tenor Philip Sheffield für eine Seite, die Benjamin Britten bei allem Ernst des Anliegens keineswegs fremd ist: die Ironie, die Skepsis. Unterstützt von einem kleinen Instrumentalensemble, dessen fließend-pittoreske Klangmalerei zu den Höhepunkten der Aufführung gehörte, mimte er etwa Isaaks wachsende Beunruhigung, die mehr als berechtigt ist, denn angesichts der Ungeheuerlichkeit der an ihn gestellten Forderung macht Vater Abraham keineswegs gute Miene zu bösem Spiel, sondern opfert seinen Sohn wirklich ...

Nun, im heutigen Europa schlachtet man seine Kinder nicht mehr, und es gehört auch nicht zum guten Ton, über die barbarischen „Hunnen“, das „perfide Albion“ oder die unbelehrbaren „Frogeaters“ herzufallen. Nicht nur Politiker, sondern auch Künstler und Komponisten haben dazu beigetragen, mit den krassesten Verirrungen und Fehlurteilen der Vergangenheit aufzuräumen. In diesem Sinn – und der Abend im Konservatorium hat es erneut auf überwältigende Art ins Gedächtnis gerufen – ist Benjamin Brittens „War Requiem“ in die herausragenden Monumente nicht nur der Musik-, sondern auch der Menschheitsgeschichte einzureihen.




  

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Infos:

Prochaine prestation: AllerséileconcertMesse de Minuit le 24.12.2016


(10/2010)

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