Luxemburger Wort vom 4. November 2010
Von André Link
Allerséileconcert 2010
Von André Link
Allerseelenkonzert in der Pfarrkirche von Belair
Das Allerheiligste des Gefühls
Die "Chorale Saint-Michel" und das "Madrigal de Luxembourg" sangen Anton Bruckner
Je schwieriger ein Werk ist, desto mehr scheint es Gerry Welter zu reizen, es in Angriff zu nehmen. Mit religiösen Vokalkompositionen Anton Bruckners hatte der Leiter des "Mechelschouer" Stücke ausgesucht, die höchste Anforderungen an eine Sängergemeinschaft (in diesem Fall sein eigener Chor vom Fischmarkt im Verbund mit dem "Madrigal de Luxembourg") stellen. Die E-MolI-Messe des österreichischen Tonschöpfers wurde zum bewegenden Höhepunkt des diesjährigen Allerseelenkonzertes.
Im ersten Teil des Konzerts erklangen - sozusagen zum Einsingen - Motetten, untermischt von Aequale, also Trauermusikstücken. die ein Posaunentrio des "Orchestre Philharmonique du Luxembourg" stimmungsvoll ausführte. Als erste von insgesamt vier Bruckner-Motctten stimmte der Chor das verhältnismäßig einfache Graduale "Os justi" an. Dennoch stellten die diatonischen Dissonanzen in dieser wie alle anderen a cappella vorgetragenen Motette den Chor in punkto Zusammenhalt und Intonation auf eine harte Probe. Sehr viel sicherer wirkte die doppelechörige Gemeinschaft bereits im anschließenden "Virga Jesse". Stimmgewaltig. ja monumental wogte die ehrgeizigste dieser Mottetten, "Christus factus est'', durch das bis auf den letzten Platz besetzte Kirchenschiff. Mit einer dramatischen Steigerung in der Anrufung des Namens Jesu und demutsvollem Abklang erreichten die Sänger jedoch im "Ave Maria" den innigsten Ausdruck.
Schwindel erregende Höhen
Während man meinen sollte, dass "deutsche" Vokalmusik auch mal eine betontere Diktion bzw. schärfer artikulierte Konsonanten vertragen würde, konnte sich das Markenzeichen des Welter-Chores, das weiche Klangbild, in der E-Moll-Messe unbehindert entfalten. Gleich zu Beginn stellte das weitgehend unbegleitete "Kyrie" eine Art Hochseilakt dar, den die Sänger - man hielt den Atem an - mit traumwandlerischer Sicherheit absolvierten. Und als dann die OPL-Bläser einfielen, wusste man nicht, ob die Instrumente den Chor emporstemmten oder ob es die Sänger waren, die die Bläser in Schwindel erregende Höhen zogen ...
Im "Gloria" kontrastierte polyphoner Fugenaufschwung mit einem zarten .Agnus Dei", das lyrische Hornkantilenen umrankten. Derselbe fließende Wechsel von energischen Fortissimoschüben und gefühlvoll ausgeformten Piano-Passagen prägte auch das "Benedictus" und das "Agnus Dei". Für die Instrumentalbegleitung dieser Messe, die zur Einweihung einer Votivkapelle des Linzer Domes im Freien aufgeführt wurde, hat Bruckner je zwei Oboen, Klarinetten, Fagotte und Trompeten sowie drei Posaunen und vier Hörner vorgesehen, die er zum Teil in einen traditionsbewusst-hieratischen Habitus, zum Teil in modern wirkende, dissonanzenverbrämte Harmonien kleidet. Im "Benedictus" kamen die mysteriösen Farben vielleicht am packendsten zur Geltung.
Herzstück des gewaltigen Werkes ist aber sicherlich das "Credo". Das "Incarnatus est" umwob der mystische Zauber verhalten intonierender Soprani, bevor dann im dunkel absinkenden "Crucifixus est" die Interpreten mit Christus zur Crux der Passion und gleichzeitig zum Allerheiligsten des Gefühls vordrangen.